Alexander Neupert-Doppler: Reformation – Revolution – Transformation

15. Juli 2025
19:00 - 21:00
objekt klein a
Meschwitzstraße 9, Dresden, 01099
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Kritische Theorie der Gesellschaft ist keine neutrale Bestandsaufnahme, sondern impliziert immer auch die Veränderung des Bestehenden. Entscheidend ist aber, inwiefern eine solche in einer bestimmten historischen Situation möglich ist. Dies hängt von objektiven wie subjektiven Faktoren ab. Max Horkheimer schrieb 1937: “Es muß nicht so sein, die Menschen können das Sein verändern, die Umstände dafür sind jetzt vorhanden” (1937/2005: 244). Im Rückblick auf die verpasste Gelegenheit und den deutschen Zivilisationsbruch wird er später im Gespräch mit Adorno noch deutlicher: “Aus welchem Interesse heraus schreiben wir, nachdem […] die Revolution unwahrscheinlich geworden ist?” (1956: 41). Objektiv war die krisenhafte Zeit zwischen 1917 und 1937 reif für eine Revolution, das fehlende subjektive Interesse der Menschen stellt aber für Horkheimer und Adorno deren Aktualität für unbestimmte Zeit in Frage.

Wiederum bald 70 Jahre später stellt sich die Frage noch einmal anders: Können wir nach dem Scheitern von Revolutionen, Revolutionsversuchen und Revolten überhaupt noch am Konzept einer revolutionären Perspektive festhalten? Bleibt uns, wenn nicht, nur die Beschränkung auf Reformen? Um sich dieser Frage zu nähern wird im Vortrag die Perspektive ausgeweitet: 1525, vor 500 Jahren, zielten bäuerliche Aufstände auf eine umfassende Reformation des gesellschaftlichen Lebens und verstanden ihre Bestrebungen als Wiederherstellung einer gerechten Institution: einer weltlichen Kirche. Im 18. Jahrhundert ersetzte der Begriff der Revolution den der Reformation: Die gesellschaftliche Umwälzung wurde nun gedacht als eine, in der sich eine aufsteigende Klasse neue Institutionen schafft. Für die revolutionären Bürger der Jahre 1776 und 1789 war dies die Gründung von Parlamenten.

Marx und Horkheimer erwarteten Ähnliches von den revolutionären Arbeiter*innen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: Die Gründung einer Commune bzw. einer Räterepublik. Die Kritische Theorie hat seither aufgezeigt, dass die proletarische Revolution, anders als die bürgerliche Revolution, unwahrscheinlich ist: Der Spätkapitalismus ist in der Lage die Lohnabhängigen ideologisch, kulturell und materiell zu integrieren. Horkheimer war sich früh über die Bedingungen bürgerlicher Revolutionen im Klaren: “Damals hatte eine neue Gesellschaft sich bereits im Rahmen der alten entwickelt” (1937: 65), kapitalistische Produktionsmittel und Verkehrsformen waren bereits vor der Revolution vorhanden. Sozialistische Produktionsmittel und Verkehrsformen setzen hingegen die Aneignung und Verwandlung der kapitalistischen Produktivkräfte, oftmals Destruktivkräfte, voraus. In diesem Sinne ist die Kritische Theorie jene, “die zur Transformation des gesellschaftlichen Ganzen treibt” (1937: 47). Also statt Reformation und Revolution – Viva la Transformation?

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