Gerhard Stapelfeldt: „Du musst vernünftig sein!“
Von der liberalen Aufklärung zum liberalen Vernunft-Terror, Hitlers „Antisemitismus der Vernunft“ und Hayeks neoliberaler Gegenaufklärung
Der Titel des Vortrags „Du musst vernünftig sein!“ ist eine früher geläufige Ermahnung gestrenger Eltern an ihre Kinder: die Aufforderung, sich anzupassen. Der Alltags-Imperativ reformuliert Kants kategorischen Imperativ und drückt den repressiven Gehalt der bürgerlichen Emanzipation aus: der Utopie einer Herrschaft der Vernunft.
Im ersten Teil des Vortrags wird einleitend die liberale Aufklärung des 18. Jahrhunderts als theoretische und praktische Kritik des rationalen Absolutismus und des Handelskapitalismus entwickelt. Das aufklärerische Interesse war die Verwirklichung der Vernunft: einer Gesellschaft, in der die Menschen frei sind, weil sie sich ihrer selbst und ihrer Verhältnisse bewußt sind. Diese Aufklärung löste die metaphysische Welteinheit in Gott in den Gegensatz von Subjekt und Objekt, Gesellschaft und Natur auf. Dadurch wurde die Vernunft der bisherigen Gewaltgeschichte nur entgegengesetzt, so daß diese unter dem Schleier der Vernunft reproduziert wurde. Das Resultat war, in England und Frankreich, der Vernunft-Terror.
Im zweiten Teil des Vortrags wird diese Entwicklung am Beginn des englischen liberalen Kapitalismus skizziert, der eine Gesellschaft konstituiert, in der ein „versteckter Bürgerkrieg“ (Marx, Engels) herrscht. Von hier aus führt eine Linie zur deutschen Volksökonomie (List) und zur österreichischen Volkswirtschaftslehre (Menger, Mises, Hayek).
Im dritten Teil des Vortrags wird jene Entwicklung an der Französischen Revolution skizziert, die im Revolutions-Terror Robespierres ihren Höhepunkt erreicht und danach die englisch-deutsche Gegenaufklärung und den deutschen nationalen Liberalismus hervorruft.
Im vierten Teil des Vortrags werden diese klassischen Entwicklungen in ihren gesellschaftsgeschichtlichen Konsequenzen vorgeführt: nationaler Liberalismus (Fichte, List), positivistische Gesellschaft (Comte), nationaler Sozialismus (Hitler), Staatskapitalismus (Keynes), Neoliberalismus (Hayek).
Die Absicht des Vortrags besteht nicht darin, fertige Antworten zu geben, sondern Anregungen zum Selbststudium. Das Thema der neoliberalen Gegenaufklärung wird im Vortrag 11 wieder aufgenommen.
Gerhard Stapelfeldt lehrte bis 2009 als Soziologie-Professor an der Uni Hamburg. Seitdem arbeitet er als freier Schriftsteller in Hamburg.
Weitere Infos unter: stura.tu-dresden.de/referat_politische_bildung