Maurits Heumann: Von Konformisten und Rebellen. Eine Sozialtypologie des ‚neuen‘ Autoritarismus

30. Mai 2024
19:00 - 21:00
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Maurits Heumann: Von Konformisten und Rebellen. Eine Sozialtypologie des ‚neuen‘ Autoritarismus

Vor etwas mehr als 90 Jahren war es Hilde Weiß, die 1929/1930 als Doktorandin und Forschungsassistentin am Institut für Sozialforschung (IfS) dafür verantwortlich war, umfangreiche Fragebögen unter den „Arbeitern und Angestellten“ zu verteilen, für deren Meinungen, Lebensstile und Einstellungen sie sich interessierte (Fromm 1983 [1980]). Erstmals verbanden Mitarbeiter:innen des IfS die Methoden der empirischen Sozialwissenschaften ihrer Zeit mit dem Anspruch einer kritischen Sozialforschung. Was Weiß und Fromm am „Vorabend des Dritten Reiches“ fanden, waren „rebellisch-autoritäre Charaktertypen“ (Fromm 1983 [1980]: 249), die sie den „konservativ-autoritären“ gegenüberstellten. In ihnen verkörperte sich das draufgängerische und widerständige Potenzial der faschistischen Bewegung. Auch in The Authoritarian Personality (Adorno et al. 1982 [1950]) tauchte der autoritäre Rebell nochmal auf, bevor er in der umfangreichen Rezeptionsgeschichte der Frankfurter Autoritarismusforschung für lange Zeit in Vergessenheit geriet und ein Schattendasein fristete. In den Jahren des allgemeinen Aufstiegs und Wohlstands hatten seine zersetzenden Gesten kein Publikum und fanden auch in der Wissenschaft kaum Beachtung. Erst mit dem Aufkommen des ‚neuen‘ Autoritarismus sind die autoritären Rebellen ins Zeitgeschehen zurückgekehrt.Im Anschluss an die empirische Tradition der Frankfurter Autoritarismusforschung sollen im Vortrag eigene Befunden vorgestellt und mit populären Erklärungsnarrativen zum Rechtspopulismus und Autoritarismus in Verbindung gesetzt werden (u.a. Reckwitz 2019; Amlinger & Nachtwey 2022). Die Rekonstruktion von „zeitdiagnostischen Miniaturen“ (Sutterlüty & Imbusch 2008) ermöglicht es, den ‚neuen‘ Autoritarismus als lebensweltlich situiertes, heterogenes Phänomen zu verstehen, das vor allem an den Bruchstellen des Lebenslaufs entsteht. Anhand von individuellen Anomiekonstellationen lässt sich die ungleichzeitige Gleichzeitigkeit von autoritären Syndromen nachzeichnen. Hier überlagern und durchkreuzen sich die berufliche Flugbahn einer Person, ihre familiären Sozialisationserfahrungen und die Wirkungsweisen von agitatorischen Netzwerken und Gegenöffentlichkeiten.

Dr. des. Maurits Heumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im SNF-Projekt Populism as Peripheral Resentment an der Universität Luzern.

Literatur:
Adorno, Theodor W.; Frenkel-Brunswik, Else; Levinson, Daniel J. & R. Nevitt Stanford (1982 [1950]). The Authoritarian      Personality. New York: W.W. Norton & Company.
Amlinger, Carolin & Oliver Nachtwey (2022). Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Berlin: Suhrkamp.
Fromm, Erich (1983 [1980]). Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung. München: DTV.
Reckwitz, Andreas (2019). Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Berlin: Suhrkamp.
Sutterlüty, Ferdinand & Peter Imbusch (2008). Abenteuer Feldforschung: Soziologen erzählen. Frankfurt a. M.: Campus

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